FERRARI 296 GTB IM TEST: 830-HYBRID-PS FüR DIE HINTERACHSE

Dem Basis-Supersportler von Ferrari müssen sechs Zylinder reichen. Ist der 296 GTB deshalb günstiger als sein Vorgänger mit V8? Wohl kaum, denn der Neue liefert dank Elektro-Unterstützung 830 PS – an Leistung wurde nicht gespart.

Ein V6 bei Ferrari, Plug-in-Hybrid. Nur ein Steuersparmodell für Firmenwagen? Nein, auch ein Beschwichtigungsopfer. Es soll den Zeitgeistzorn der Umweltbewegten mildern – auf flache schnelle Verbrenner, gefahren von alten weißen Männern. Im Vergleich zum Vorgängermodell F8 Tributo mit Biturbo-V8 besteht das Opfer in zwei Zylindern, was andererseits bei den bewegten Massen sowie der inneren Reibung spart, zudem bei Baulänge und Gewicht. Ein kleiner, leichter Mittelmotor-Zweisitzer also, vielleicht sogar günstig?

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1.639 Kilogramm Kampfgewicht

Alleine 73 Kilogramm zusätzlich drückt der Akkublock mit 7,5 kWh Kapazität mittschiffs in den Unterboden. Dennoch wiegt der 296 laut Ferrari nur 35 Kilogramm mehr als der 110 PS schwächere Vorgänger F8 Tributo. Die Redaktions-Waage zeigt später 1.639 Kilogramm vollgetankt an. Ganz schön stabil, der Neue.

Zum Plug-in-Hybrid machen den 296 die aufladbare Batterie sowie ein elektrischer Axialflussmotor, der 315 Nm stemmt, zwischen Verbrenner und Getriebe sitzt und unter anderem als Startergenerator agiert. Den E-Antrieb schleift eine Dreischeiben-Trockenkupplung völlig ruckfrei ein und wieder aus. Anders als beim SF90 Stradale treibt das Antriebs-Konglomerat ausschließlich die Hinterräder an. Mit der Kraft von 830 PS.

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663 PS liefert der V6. Literleistung: 222, kein Zahlendreher! Im Sinne der griffigen Namensgebung 296 (2,9 Liter, sechs Zylinder) rundet Ferrari beim Hubraum ab.

Tatsächlich ist es ein Dreiliter, der im Leerlauf spürbar rumort – als Folge des gewagten Bankwinkels von 120 Grad. Jener gibt dem Block fast einen Boxer-Look. Obenauf sitzen die Krümmer samt zweier IHI-Lader, und jene zwitschern bei 2,1 bar Ladedruck wunderbar ins Ohr. Überhaupt: Hören, darum geht es doch in einem Ferrari. Weshalb so ein wenigzylindriger V6 skeptisch stimmt.

Akustische Täuschung

Nun verstehen sie sich bei Ferrari auf akustische Täuschungen – der V8-Sauger des F355 etwa heult durch eine Engstelle wie ein V12-Rennmotor. Beim V6 haben die Ingenieure eine andere Kuriosität kreiert: ein Hörrohr in den Auspuff, noch vor die Filter, die neben unerwünschten Partikeln auch gewünschte Frequenzen herauswaschen. Ferrari greift sie vorher ab, leitet sie oben an der Schottwand in die Zweier-Loge. Dort sitzt man nahe an der Vorderachse, die Füße leicht nach rechts versetzt, und vergisst, wie viel Auto hinter einem noch folgt – der 296 beharrt auf unfassbaren 2,3 Metern Breite, vor allem bei der Begegnung mit einem Holzlaster. Klein ist der Neue nicht.

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Kurze Orientierung: Großes Instrumentendisplay, Touchscreen-Insel für die Klimaanlage. Und ein Lenkrad mit babylonischem Bedien-Wirrwarr. Startknopf? Ein Touchfeld auf Sechs-Uhr-Position – OMG! Ähnlich unwürdig wie die Daumen-Wisch-Bedienerei des Infotainments via kapazitivem Feld. Glücklicherweise gibt’s das analoge Manettino mit der wichtigen Zusatzfunktion: Drückt man drauf, dann wechseln die Stoßdämpfer in den nachgiebigen Modus.

Sparsamer Verbrenner

Lassen wir den Zündfunken endlich überspringen – und der Bolide sirrt rein elektrisch los. Das irritiert, funktioniert im Test aber 20 Kilometer weit. Kraftvoll treibt der Axialflussmotor den Ferrari an, beschleunigt ihn auf der Autobahn mühelos bis Richtgeschwindigkeit. Wir ermitteln später 33 kWh Verbrauch, auf 100 Kilometer umgerechnet. Bei leer gefahrenem Stromspeicher begnügt sich der weitgehend rein verbrennerisch laufende Antrieb im Hybridmodus mit erstaunlichen 8,8 l/100 km. In eineinhalb Stunden ist der Akku an einer 11-kW-Wallbox wieder komplett befüllt.

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Im Hybridmodus entscheidet auch die Stellung des Gaspedals, wann Elektronen oder Kohlenstoffverbindungen die Energie erbringen sollen. Etwas mehr Weg, schon bellt der V6 auf, schaltet sich ruckfrei zu. Kann das sein? Der Sound erinnert an den seligen 3,5-Liter der BMW M GmbH aus den 80er-Jahren. Zumindest bis etwa 3.500/min.

Via weiterem Druck auf das Touchfeld links am Lenkrad landen wir im Performance-Modus, der für den E-Anschub genug Reserve im Akku vorhält. Bliebe noch, rot erleuchtet, "Qualifying" – volle Leistung, voller Boost. Hier lädt der Verbrenner kräftig und ausdauernd in den Akku: bei Teillast, beim Warten an einer Kreuzung; man merkt es am erhöht sägenden Leerlauf, sieht es im Display. Sogar beim ausgekuppelten Rollen rekuperiert der Zweisitzer, was sich bei unseren Ausrollversuchen negativ auswirkt (siehe Leistungsaufwand bei 130 km/h).

Kraft ohne Ende

Der E-Motor gibt andererseits auch gerne Leistung ab, schiebt aus dem Nichts an, wuchtet den 296 vorwärts, wenn sich die Turbos noch hochrappeln. Erst bei etwa 3500/min blenden sich die beiden IHI-Lader spürbar ein, Schub und Sound verdoppeln ihre Dramatik: Die Kurbelwelle mit drei Kröpfungen samt Zündfolge 1-6-3-4-2-5 stiftet akustische Verwirrung, da schmettern scheinbar mehr Zylinder. Acht vielleicht, in traditioneller Flatplane-Stimmung, räsoniert man. Kurz darauf drückt es den Gedanken aus dem Kopf: Bei 6000/min bricht der Wahnsinn über den Antrieb herein. Etwa doch zwölf Zylinder? Zumindest gibt es voll auf die Zwölf, aber so was von: Wheelspin noch im dritten Gang! Herzklopfen. Und –wichtig – Ehrfurcht.

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Da haben sie die Dramatik des F40-Biturbo-Schlags in die V6-Charakteristik importiert. Es schwemmt den Zweisitzer in die Bremszone. Der Raumgriff ist viel zu plötzlich, der Gang zu schnell ausgedreht, das Tempo zu hoch, die Bremse muss viel zu früh eingreifen. Die Kunst besteht darin, unfrequentierte Strecken mit minimalen Geraden und maximalen Kurven zu entdecken – gesucht sind Zweiter-/Dritter-Gang-Radien. Darüber landet der Könner und Woller im Frustbereich der Unterforderung der Übermotorisierung.

Vorsicht ist kurioserweise vor allem unter besten Bedingungen geboten: Bei trockenem Asphalt und warmen Reifen kann man sich dem Sog der g-Kräfte kaum entziehen – der Ferrari schreit nach Querkräften, will gefordert werden, abliefern, sein Können demonstrieren. Ein Entertainer auf Weltniveau, der nach einem talentierten Sidekick auf dem Fahrersitz verlangt. Und nach einem selbstbeherrschten.

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Immerhin hilft der sämige Leistungseinsatz, die 740 Nm feingeistig zu platzieren. Immerhin hilft das schabende Bremspedalgefühl, den Tempoüberschuss bemessen zu dezimieren. Immerhin hilft die analytische Rückmeldung von Vorder- wie Hinterachse, die Geschehnisse richtig einzuordnen. Immerhin hilft das unter moderater Last eher untersteuernde Eigenlenkverhalten dem Sicherheitsempfinden. Und immerhin hilft die hochbegabte Federung im Soft-Modus, die Räder dort zu halten, wo sie maximale Kraft übertragen können. Hätte der Zweisitzer nicht diese hartnäckige mechanische Traktion, dann brächten seine 830 PS mehr Last als Lust – siehe Mittelmotor und Kreiseltendenz.

Wenn Umstände und Talent ausnahmsweise passen, kann man die Urgewalt tatsächlich in Fahrspaß umsetzen. Wenn man verstanden hat, dass er mit dem sensiblen statt schweren Gasfuß gefahren werden will, dann ist der 296 bezogen auf die Radien mitreißend schnell und zeigt das Tempo nicht nur auf dem Tacho – dort allerdings stehen zuweilen drastische Zahlen. Was andererseits ebenso zutrifft: Dieser Ferrari führt seinen Fahrer gnadenlos vor, wenn der unbeholfen durch die Kurven stakst. Wer nun alternativ glaubt, dass er dem Wesen dieses Mittelmotor-Zweisitzers zwischen zwei Autobahn-Ausfahrten auf die Schliche komme, wird neben der Leistungsexplosion nur den langen achten Gang, die stabile Mittellage der Lenkung sowie die Neugier der Michelins auf Spurrillen kennenlernen.

Korrigieren will geübt sein

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Bei Regennässe hilft die recht einfache Dosierbarkeit der Elektro-Turbo-Kombination; doch was da beim Gasgeben so weich wie gehaltvoll einsetzt, ist eben schon bei wenig Pedalweg ziemlich motiviert. Die kalten Michelin Pilot Sport 4 S jedenfalls können mit so viel Motivation wenig anfangen und delegieren sie ans fein abgestimmte ESP. Oder leiten sie, bei "CT off", in den Heckschwenk. Dessen Korrektur will geübt werden, sonst droht die hyperdirekt übersetzte Lenkung überzureagieren, was Unruhe in den Drift bringt. Er gelingt auf Trockenheit deutlich harmonischer als im Nassen und lässt sich unterhalb von 6.000/min besser ausbalancieren als darüber.

Weitere Notiz aus Hockenheim: Nur auf der Rennstrecke können Bravehearts die überbordende Leistung standesgemäß in die Poren walken. Doch ein 1,6-Tonner wird so wenig glaubhaft zum Tracktool, wie ein 2,3 Meter breiter Sportwagen die Lust auf Landsträßchen weckt. Ist der 296 also ein Autobahn-Bolzer und Prachtstraßen-Flaneur?

Größen-Gewichts-Spirale

Es zieht ihn dorthin, wo Platz ist. Ferrari zeigt kein erkennbares Interesse, die Größen-Gewichts-Spirale umzukehren. Politischer Starrsinn bezüglich der Elektrifizierung verstärkt sie letztendlich noch. Den zusätzlichen Pfunden durch den Hybridantrieb setzt man einfach zusätzliche PS entgegen. Diät hält der 296 nur bei der Zahl der Kolben, was Ladedruck und Elektroleistung mehr als wettmachen. Trotz Zylinder-Verzicht ist er nicht günstig – der Händler will mindestens 283.185 Euro, beim F8 Tributo waren es 2021 noch 228.660. Dafür erhält man einen übermäßig großen, übermäßig schweren und übermäßig starken Hybrid-Supersportwagen, der so irre Fahrleistungen in die Teststrecke brennt, dass einem blümerant wird: 2,9 Sekunden auf 100, 7,6 auf 200 und 19,3 auf 300 km/h.

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Stellen wir ihn uns kurz hybridfrei vor: Ohne Akkublock und E-Maschine könnten wir rund fünf Prozent Größe und daumengepeilt 150 Kilogramm abziehen, landeten bei 1.489 Kilogramm. 663 PS hätten damit ihre reine Freude. Und wir erst.

Nach so einer Variante haben wohl auch bereits einige Kunden gefragt, wie man hört – völlig konträr zum vermeintlichen Zeitgeist.

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